Leipzig
Josa Mania-Schlegel und Valerie Schönian: Leipzig-Connewitz: Ein reizendes Viertel, Zeit Campus, 2. September 2017. http://www.zeit.de/2017/36/leipzig-conne...komplettansicht
„Seit den G20-Krawallen ist der Leipziger Stadtteil Connewitz ins Gerede gekommen – als eines der autonomen Zentren der Republik. Der Bundesinnenminister würde dort jetzt am liebsten durchgreifen. Wie gefährlich ist Connewitz?
Wer wissen will, was der Reiz von Connewitz ist und zugleich das größte Problem, der stößt am Ende auf eine Wand aus Beton. Sie steht an einer Kreuzung im Leipziger Süden und ist so etwas wie das Begrüßungsschild zu diesem Viertel. Ein paar Quadratmeter, auf denen sich Staat und Autonome bekämpfen. Nicht mit Pflastersteinen und Wasserwerfern. Sondern: mit Malerfarbe und Sprühdosen.
Per Sprühdose wird, an dem einen Tag, "No Cops" auf die Wand geschrieben. Per Malerfarbe wird, am anderen Tag, mit oranger Farbe genau dieser Schriftzug wieder übermalt. Immer wieder. […]
Der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig sprach von einem "Nährboden" für Linksextremisten, den man in Connewitz finde; der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz von "rechtsfreien Räumen". Man konnte den Eindruck gewinnen, dass da ein Stück Leipzig zur No-go-Area geworden sei. In jedem Fall ist Linksextremismus nun Wahlkampfthema, die Bekämpfung linker Gewalt sozusagen Chefsache. […]
Was heißt es, wenn ein Viertel "Antifa-Area" ist? Wie wirkt sich das auf eine deutsche Großstadt und ihre Bürger aus? Und vor allem: Wie gefährlich ist so ein Stadtteil? Die ZEIT hat in den vergangenen Wochen in der Szene recherchiert. Hat mit der Polizei gesprochen, mit der Stadtverwaltung, mit linken wie mit konservativen Politikern – vor allem aber mit jenen, von denen viele gar nicht öffentlich reden wollen. Mit den Autonomen, die diesen Stadtteil so prägen. Eines kann man vorab sagen: Hier, im Leipziger Süden, zeigt sich wie unter einem Brennglas, was eine starke linke Szene mit einer Stadt macht. Was sie von ihr zu fürchten hat. Aber auch, was sogar zu gewinnen.“
Berlin
Stefan Ferrari: Friedrichshain-Kreuzberg. Ärger um Wahlplakat: Grünen werben mit Hausbesetzer-Spruch, B.Z., 3. September 2017. http://www.bz-berlin.de/berlin/friedrich...besetzer-spruch
„Canan Bayram möchte das bundesweit einzige grüne Direktmandat bei der Bundestagswahl verteidigen, das bisher Hans-Christian Ströbele in „Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost“ (Wahlkreis 83) inne hatte.
Und dafür bedienten sich die Grünen eines umstrittenen Slogans.
Die Häuser denen die drin wohnen #DarumGruen #ErststimmeBayram […]
Eine Hausbesetzer-Forderung. Entstanden in den 1980er und 90er Jahren, als in Friedrichshain viele Häuser leer standen, es brutale Straßenkämpfe in der Mainzer Straße mit der Polizei gab. Und durchaus noch bekannt aus der Rigaer Straße, wo es besetzte Häuser und immer wieder Konflikte mit der Polizei gibt.
ZDF-Korrespondent Florian Neuhann konfrontierte die Grünen-Spitze via Twitter schließlich mit dem Slogan, der schon seit einigen Tagen im Bezirk plakatiert wird. […]
Das sehen die Bundesgrünen etwas anders. Das Plakat sei „missverständlich“, es gäbe andere Mittel für bezahlbaren Wohnraum, etwa „eine echte Mietpreisbremse und mehr sozialen Wohnungsbau“. Die Bezirksgrünen hingegen nennen in einer darauf folgenden Erklärung den Slogan „nur konsequent“.“
Gunnar Schupelius: Sind die irre? Grüne liebäugeln mit Enteignungen in Berlin, Bild, 04.09.2017. http://www.bild.de/regional/berlin/die-g...84136.bild.html
„Canan Bayram, die grüne Direktkandidatin in Friedrichshain-Kreuzberg, sagt: „Ich finde das Plakat gut. Es zeigt, dass wir auf der Seite der Mieter sind, die sich für den Bestand ihrer Wohnungen einsetzen.“
Die grüne Sprecherin für Wohnen und Mieten im Berliner Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, wird noch deutlicher. Enteignungen, sagt sie, könnten „als Ultima Ratio ein notwendiges Instrument sein, um Häuser dem Spekulationsstrudel zu entziehen und Mieter*innen zu schützen, selbstverständlich gegen eine Entschädigung“.
Wen meint Frau Schmidberger, wenn sie von den Einwohner*innen von Friedrichshain-Kreuzberg spricht? Alle? Oder nur die Wähler der Grünen oder linksradikale Gruppen, die Neubauten beschmieren, Autos anzünden, Bauherren bedrohen und Mieter neuer Wohnungen einschüchtern? […]
Der CDU-Direktkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg, Timur Husein, bescheinigt seiner grünen Rivalin Bayram eine „feindliche und intolerante Politik gegenüber Investoren und Neubürgern“. Mit Enteignungen zu drohen sei grundgesetzwidrig und werde dazu führen, dass „kein Investor mehr neue Wohnungen bauen“ wolle.
Flankiert wird die Pro-Hausbesetzer-Politik der Linkspartei und der Grünen in Berlin durch gewaltbereite linksradikale Gruppen.“
Markus Decker: Berlin Wahlplakat entzweit die Grünen, FR, 03.09.2017. http://www.fr.de/politik/bundestagswahl/...uenen-a-1344347
„Zwischen den Grünen im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Bundespartei herrscht Zwist über ein grünes Wahlplakat, das im Bezirk aufgehängt wurde. Es trägt die Aufschrift „Die Häuser denen, die drin wohnen“ und knüpft an Hausbesetzerzeiten an.
Als sich der ZDF-Journalist Florian Neuhann am Samstag via Twitter erkundigte, ob denn der Spruch bedeute, dass Vermieter enteignet würden, sollten die Grünen nach der Bundestagswahl mitregieren, schrieb die Social-Media-Abteilung der Bundespartei unter der Überschrift „Klarstellung“, das Plakat hänge nur lokal und sei „kein Teil der Bundeskampagne“. Der Spruch sei nämlich „missverständlich“. Als Mittel, um bezahlbaren Wohnraum und besseren Mieterschutz zu erreichen, sehe man eher „eine echte Mietpreisbremse und mehr sozialen Wohnungsbau“.
Darauf wiederum reagierten die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg mit einer eigenen Erklärung, wonach der Slogan „nur konsequent“ sei. Man habe als Kreisverband erfolgreich Änderungen ins Bundestagswahlprogramm eingebracht, mit den Forderungen habe man „eine klare Haltung im Kampf für bezahlbare Wohnungen bewiesen“.“
David Joram: Grundeigentum als Wahlkampfthema. Grüne Missverständnisse, taz, 3. 9. 2017. http://www.taz.de/!5444228/
„Die Kreuzberger Grünen werben mit Häuserkampf – ganz zum Ärger der Bundesökos. Dabei sollten die über jede Chance der Profilierung froh sein. […]
Sprüche, die ein bisschen wachrütteln, schaffen das. DIE HÄUSER DENEN, DIE DRIN WOHNEN. So was provoziert, klingt frech. Gerade den Grünen, die nach außen oft so langweilig, so vernünftig daherkommen, tut es gut, die Dinge rhetorisch etwas aufzublasen. Wahlplakate sollen auffallen, keine Programme ersetzen.“
http://www.taz.de/!5436959/
Gunnar Schupelius: Berlins größtes Hass-Graffiti gegen die Polizei blieb unbemerkt, B.Z. Mein Ärger, 5. Juli 2017. http://www.bz-berlin.de/berlin/kolumne/hass-graffiti-polizei
„Auf dem Dach vom U-Bahnhof Kottbusser Tor prangt ein Schriftzug. In mannshohen weißen Lettern hat irgendjemand dort auf die Dachpappe vier Worte in Englisch geschrieben: „Love Art, Hate Cops“, auf Deusch: „Liebe die Kunst, hasse Polizisten!“ […]
Pascal Meiser, der Kreisvorsitzende der Linkspartei in Friedrichshain-Kreuzberg, hatte das Foto verschickt und wohlwollend kommentiert.
Auch „der Letzte“ sollte „verstehen“, schrieb Meiser, „woher solche Graffitis auf unseren Dächern kommen.“ Und dann erklärte er es sinngemäß so: Wenn Polizisten besetzte Wohnungen und Häuser räumen, müssen wir uns nicht wundern, dass ein Dach mit dem Aufruf zum Hass auf die Polizei beschmiert wird.
Was für eine seltsame Logik! Und wie viel Verständnis für die hasserfüllten Schmierer der Herr Meiser da aufbringt! „Ich wünschte, er würde sich in die Lage der Polizisten und ihrer Familien hineinversetzen“, sagte dazu der Kreuzberger CDU-Verordnete Timur Husein. „Dann hätte er sich seine beleidigenden Äußerungen vielleicht erspart.““
Indymedia Verbot
https://twitter.com/hashtag/linksunten?src=hash
Jörg Diehl: "linksunten.indymedia"-Verbot. Linksextremes aus dem Ländle, Spiegel, 25.08.2017. http://www.spiegel.de/politik/ausland/li...-a-1164567.html
„Das Verbot der linksextremen Internetseite "linksunten.indymedia" kommt überraschend. Die Plattform verbreite Hetze und Hass, sagt Innenminister de Maizière. Doch so leicht lässt sie sich nicht abschalten. […]
Die Dezentralität der Serverstruktur bereitete den Sicherheitsbehörden auch nach dem Verbot zunächst noch Schwierigkeiten. Es gelang am frühen Freitagmorgen nicht umgehend, die Seite zuverlässig vom Netz zu nehmen, wie de Maizière einräumte. Dazu benötige man noch etwas Zeit, weil Rechtshilfeersuchen ins Ausland hätten gestellt werden müssen, so der Innenminister bei einer Pressekonferenz am Vormittag. Die Server von "linksunten.indymedia" sollen in Frankreich stehen.“
Rainer Meyer: Website „linksunten.indymedia“: Einig im Kampf gegen das „Schweinesystem“, FAZ, 25.08.2017. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/de...r-15168093.html
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/de...rue#pageIndex_0
„Die Geschichte von „linksunten.indymedia“ als Plattform der deutschen Linksextremisten beginnt mit einem misslungenen Witz: Der alternative Mediendienst Indymedia stellt international Aktivisten aus vielen Regionen Server zur Verfügung. Bei der Aufteilung des deutschen Ablegers wurde statt Baden-Württemberg der geographisch beschreibende Name „Linksunten“ gewählt. Das hielt Aktivisten aus ganz Deutschland allerdings nicht davon ab, bei der Vernetzung diese Unterseite zu wählen, die auch als Abkürzung für „linker Untergrund“ aufgefasst werden kann. […]
Die Bedeutung der Seite stieg mit einer Veränderung der Feindbilder: In den letzten Jahren erwuchsen der Szene mit der AfD und zwischenzeitlich mit Pegida neue Gegner, die bundesweit aktiv waren, und deren Ablehnung durch die etablierten Parteien und Medien eine gewisse Anschlussfähigkeit der Linken ins nicht extremistische Spektrum erlaubten. So wurde nach dem Verbot der Seite an diesem Freitag von der Thüringer Linken-Abgeordneten Katarina König positiv hervorgehoben, dass auf Indymedia die fremdenfeindlichen Chats von AfD-Mitgliedern veröffentlicht wurden. […]
Der bundesweit ausgetragene Kleinkrieg gegen die AfD war in den letzten Jahren das Tagesgeschäft der Seite. Dort wurden die gehackten Listen der Teilnehmer an AfD-Parteitagen veröffentlicht. Es gab bis zuletzt Aufrufe, Veranstaltungen der AfD zu stürmen. Doxxing war an der Tagesordnung, denn es gäbe „kein ruhiges Hinterland“. Gastwirten, die Veranstaltungen der AfD erlaubten, wurden die Lokale verwüstet, und die Bekennerschreiben mitsamt Bilder der Taten bei Indymedia veröffentlicht. Gehässige Kommentare zeigten keine Rücksicht auf Gesundheit und Leben der politischen Gegner, und phantasievolle Proteste wie der Glitzerbewurf der AfD-Zentrale am 22. Juli durch Schwulenaktivisten blieben unter den Bekennerschreiben die sanfte Ausnahme. […]
Die Ausschreitungen bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt im März 2015 zeigte das internationale Mobilisierungspotenzial, das mittlerweile von „Linksunten“ erreicht wurde: Vor und nach den Gewalttaten fanden dort Vorbereitungstexte und internationale Nachbetrachtung der angereisten Autonomen ihre Heimat. Weniger erfolgreich war die Seite bei der Mobilisierung für den G-7-Gipfel in Elmau, wo eine starke Polizeipräsenz abschreckend wirkte. Um so mehr wurde vor dem G-20-Gipfel unternommen, um im autonomen Zentrum Hamburg „den Gipfel scheitern zu lassen“. Schon am 19. Juni setzten Autonome Kabelschächte der Bahn in Brand und brüsteten sich bei „Linksunten“ mit den Taten: „Wir unterbrechen die alles umfassende wirtschaftliche Verwertung. Und damit die so stark verinnerlichte Entwertung von Leben. Wir greifen ein in eines der zentralen Nervensysteme des Kapitalismus: mehrere Zehntausend Kilometer Bahnstrecke.“ […]
Ob die Plattform deshalb wirklich verschwindet, ist indes fraglich: Indymedia hat eine internationale Struktur und ist auch in Diktaturen aktiv, weil die Server dezentral aufgestellt sind und klandestin betrieben werden. Kurz bevor die Seite verschwand, war dort in einem Kommentar zur Schließung noch zu lesen: „Dieser Angriff auf unsere Strukturen ist ernst! Wir müssen uns verteidigen! Rote Flora, Black Triangle, Rigaer, Indymedia, one fight!““
„Müssen jetzt mit Racheakten rechnen“: Warum das „indymedia“-Verbot so gefährlich ist, Focus, 25.08.2017. http://www.focus.de/politik/deutschland/...id_7515767.html
„Anfang 2009 wurde „linksunten. indymedia.org“ gegründet und galt zuletzt als einflussreichstes Medium der linksextremen Szene in Deutschland. Gerade deshalb ist es laut Extremismus-Experte Dustin Hoffmann von der Forschungsgruppe „Extremismus und Militanz“ besonders schwierig, die Plattform dauerhaft abzuschalten.
Im Gespräch mit FOCUS Online erklärt er: „Auch wenn das Verbot sehr zu begrüßen ist, wird es vermutlich kaum Konsequenzen nach sich ziehen. Mit Servern in Brasilien bleibt nur abzuwarten, bis die Website wieder im Internet auftaucht.“ Vergleichbar sei das mit Domains wie „Kino.to“. Die Internetseite, auf der Nutzer Kinofilme illegal online streamen können, wurde 2011 nach einer Razzia abgestellt. Doch mit Servern im Ausland gelang den Betreibern die Wiederbelebung der Seite.
Hoffmann vermutet daher, dass „solange eine der vielen anderen Subdomains von ‚indymedia‘ die Arbeit übernimmt.“ In Deutschland war das linksradikale Netzwerk, das global agiert, bislang durch „linksunten.indymedia.org“ vertreten.
Ein weiteres Problem sieht der Extremismus-Experte beim „harten Kern“ der linksextremistischen Szene in der Bundesrepublik. „Er könnte sich durch ein Abschalten der einflussreichen Plattform weiter radikalisieren.“ Linksradikale würden sich, so Hoffmann, darin bestätigt sehen, die Einmischung durch den Staat noch entschiedener zu bekämpfen.
Das könne sich dem Experten zufolge in zunehmender Gewalt äußern: „In nächster Zeit müssen wir mit Racheakten aus der linksautonomen Szene rechnen. Das können schwere Sachbeschädigungen sein oder Steinewerfer, die auf der Straße Krawall machen“, sagt Hoffmann. Auch Angriffe auf Polizeibeamte seien nicht auszuschließen.
Einen positiven psychologischen Effekt könnte das bundesweite „indymedia“-Verbot dennoch haben. Und zwar beim „Rand der Szene“, wie Hoffmann erklärt: „Menschen, die mit der Idee der Plattform sympathisiert haben und es reizvoll fanden, ihrer Wut gegen die Staatsgewalt freien Lauf zu lassen, könnten durch das Verbot wachgerüttelt werden.“
Schließlich würde ihnen nun verdeutlicht werden: „Was ihr hier tut, ist ab sofort strafbar.““
Minister Herrmann: „Auf dem linken Auge war manch einer bislang blind“. Verbot von „linksunten“ war „sehr wichtig“, Merkur, 02.09.17. https://www.merkur.de/politik/minister-h...ig-8648975.html
„Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält das Verbot der linksextremistischen Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ für ein wichtiges Signal. […]
„Leider stellen wir fest, dass auf allen Seiten die Radikalisierung in zunehmendem Maße in der Anonymität des Internets stattfindet“, sagte Herrmann dem Blatt. „Die Ideologien, wie bei den militanten Islamisten, scheinen mittelalterlich zu sein, aber ihre Anhänger bedienen sich modernster Technik.““
Peter K. Grimm: Zensur-Wettbewerb zwischen Maas und de Maizière?, Sichtplatz, 25. August 2017. http://sichtplatz.de/?p=8982 / http://www.achgut.com/artikel/zensur-wet...und_de_maiziere
„Ich werde linksunten.indymedia vermissen. Diese Seite war wichtig, denn sie informierte, wie keine andere über linksextreme Gewalt und die ideologische Gedankenwelt dahinter. Nach Anschlägen, die in der Presse gern ohne die klare Benennung des linksideologischen Hintergrunds vermeldet wurden, konnte man auf linksunten.indymedia die Bekennerschreiben lesen oder aus der Art freudiger Berichterstattung ersehen, aus welchem Spektrum die Täter kamen. Zuletzt war dies nach den Anschlägen auf Bahnsignalanlagen am vorletzten Augustwochenende der Fall. Während die Medien nur verschwurbelt davon schrieben, dass diese nachhaltige Störung des Bahnverkehrs etwas mit einer Neonazi-Demo in Berlin zu tun haben könnte, las man bei den Genossen Klartext: Eine Aktion habe verhindert, dass Faschisten nach Berlin fahren konnten.
Ohne linksunten.indymedia hätten wir nie erfahren, dass die Leipziger Linksextremisten im vorvergangenen Jahr „Randalemeister“ wurden. Penibel wurden dort alle Brandanschläge, Überfälle und Zerstörungswerke aufgelistet, um zu beweisen, dass die sächsischen Genoss*_innen mehr Angriffe auf’s Schweinesystem verübt haben als die Revolutionäre in der Hauptstadt. […]
Das alles werden wir vermissen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat es geschafft, eine Webseite zu verbieten – was ihm eigentlich gar nicht möglich ist – indem er die Betreiber zu einem Verein erklärt, den er tatsächlich verbieten kann und mit ihm dann die Seite. Heiko Maas dürfte vor Neid erblassen, dass er nicht auf diesen Kunstgriff gekommen ist. […]
Ja, es gab widerliche Gewaltaufrufe auf dieser Seite. Ja, es gab Hetze. Das war seit Jahren so und dagegen hätte man vorgehen müssen. Gegen jeden strafrechtlich relevanten Artikel, seine Verfasser bzw. – weil diese anonym blieben – gegen die Verantwortlichen der Seite. Gegen wen man hätte ermitteln müssen, war ja offenbar bekannt. Doch nichts ist davon geschehen. Die vorhandenen Rechtsbrüche wurden jahrelang nicht nach dem angezeigten rechtsstaatlichen Verfahren geahndet. Kein Minister hat solche Ermittlungen gefordert. Und nun kommt ein Komplettverbot der Seite in einer Nacht- und Nebelaktion, gedeckt von einer eigenwilligen juristischen Konstruktion, die gezimmert scheint, um ein Verbot per Ministerverfügung zu legitimieren.
Mag sein, dass dieses Vorgehen trotz allem Geschmäckle, trotzdem es nach Taschenspielertrick stinkt, formal legal ist. Eines Rechtsstaats, der die Freiheit der Meinungsäußerung hoch hält, ist sie unwürdig. Seine Mittel hätten ohne Ministerverfügung gereicht, jeden strafbaren Inhalt zu verfolgen und zu löschen. Aber derer hat man sich nie bedient. Warum nicht? […]
Wird hier nicht gegen die Publikation eines Problems vorgegangen, während man sich zur Bekämpfung des Problems selbst nicht durchringen kann? Warum wird eine linksextreme Seite komplett verboten, also auch ihre mehrheitlich legalen, weil vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckten Äußerungen, während gleichzeitig immer noch staatliche Fördermittel den Weg auch in linksextreme Kreise finden?“
Ulf Poschardt: Autonomen-Forum. Ich werde „linksunten.indymedia.org“ sehr vermissen, Die Welt, 25.08.2017. https://www.welt.de/debatte/kommentare/a...-vermissen.html
„„linksunten.indymedia.org“ hat die Autonomen und ihren Aktionismus vorbildlich dokumentiert: Den Stolz darauf, hier ein Auto angezündet zu haben oder ein portugiesisches Restaurant in der Schanze besetzt zu haben, dort gegen die Gentrifizierung agiert zu haben. Auch nach den G-20-Ausschreitungen fanden auf dieser nun verbotenen Homepage die Diskussionen um den revolutionären Charakter dieser Aktionen statt.
Erfreulich: in den Kommentarspalten mussten die Aktivisten mitunter böse Prügel von Kommunisten, Trotzkisten und Anarchisten abholen für die Schlichtheit ihrer Überlegungen und den geradezu grotesken Pointen ihrer Aktionen. Für Interessierte und Ethnologen der radikalen Linken war diese Seite ein Geschenk. Für alle zugänglich: Nirgendwo wurde die radikale Linke so entzaubert und demystifiziert wie hier. […]
Das aktuelle intellektuelle Elend der Linken war nirgendwo so greifbar wie auf indymedia.org. Hätte man an so einem Ort vor gut vierzig Jahren noch die Avantgarde gefunden, ist der Linksradikalismus selbst ein Heimatmuseum geworden, ein digitales.“
Michael Hanfeld: Verbotene Website „linksunten“: Im Rausch der linken Gewalt, FAZ, 27.08.2017. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/de...e-15168504.html
„Ins Stocken freilich ist die Seite schon zu dem Zeitpunkt geraten, zu dem der Innenminister am Freitagmorgen über „linksunten.indymedia“ spricht. Um 5.30 Uhr in der Frühe hat in Freiburg bei den Machern von „linksunten“ eine Razzia begonnen, bei der die Polizei nicht nur die zum Betrieb der Seite notwendige IT-Technik einkassiert, sondern auch Waffen: Schlagstöcke, Rohre, Zwillen, Butterfly-Messer. Was in den Kreisen der gewaltbereiten Linken eben so zum Handwerkszeug gehört, um „Widerstand“ gegen das „Schweinesystem“ und dessen Vertreter zu leisten, vor allem gegen die „Cops“.
Wer nun die Frage stellt, warum Razzia und Verbot gerade jetzt erfolgen, und an den Wahlkampf denkt, sollte lieber fragen: Warum erst jetzt? Seit langem feierte bei dem 2009 gegründeten „linksunten“ ein Gewaltkult fröhliche Urständ. Da wurden Straftaten von Tätern ausführlich beschrieben, zur Nachahmung empfohlen und gefeiert. Der Fall, den der Innenminister bei seiner Pressekonferenz nennt – dass die Autos der Familie eines Polizisten vor dessen Wohnhaus angezündet wurden –, war nur einer von vielen. Bei „linksunten“ gab es zuhauf Bekenntnisse zu organisierter Gewalt, verstanden als politische Bewegung. […]
Manche Journalisten hatten das im Sinne der Gewalttäter von vornherein kapiert und, wie Jakob Augstein, konsequent kleingeredet. Andere hatten, wie die „Zeit“, ein Abgrenzungsproblem. Zwei Autoren des bei „Zeit Online“ beheimateten Blogs „Störungsmelder“, der sich mit rechtsextremer Gewalt beschäftigt, wurden dort ausgeschlossen, weil sie sich auf ihren eigenen Social-Media-Accounts sympathisierend zu den Unruhen in Hamburg geäußert hatten. […]
Dass „linksunten.indymedia“ überhaupt so lange online war, lässt sich nur dadurch erklären, dass die Sicherheitsbehörden so ein Fenster hatten, um die (sich radikalisierende) Szene zu beobachten. Wer wollte, konnte sich auf der Seite jedenfalls seit langem ein Bild davon machen, dass das Problem des organisierten Linksextremismus nicht, wie etwa die SPD-Politikerin Manuela Schwesig gerne betont, übertrieben wird.“
Frank Jansen: Verbot von linksunten.indymedia. Der Linksextremismus muss auch im Netz bekämpft werden, Tagesspiegel, 26.08.2017. http://www.tagesspiegel.de/politik/verbo...n/20241374.html
„Was tun gegen Linksradikale? Im Wahlkampf eine Website verbieten. Das reicht bei weitem nicht.“
Bundesinnenminister schaltet linksextremistische Internetplattform ab.Radek: Starkes Signal gegen extremistische Hetze und Menschenverachtung, GdP, 25. August 2017. https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_Rad...ng?open&ccm=000
„Die GdP begrüße ausdrücklich, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière „diesem Marktplatz extremistischer Gewalt und Staatsferne“ mit seiner Verbotsverfügung einen Riegel vorgeschoben habe, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek am Freitag in Hannover.
„Diese Internetseite hat seit Jahren einen Schaukasten vor allem auch gegen Polizistinnen und Polizisten gerichteter abgründiger Menschenverachtung dargestellt“ sagte Radek. In den oft vor Zynismus strotzenden Bekennerschreiben seien polizeiliche Einsatzkräfte zu Zielscheiben des Hasses auf den Staat degradiert worden. Unverhohlen seien dort auch massive Drohungen ausgesprochen worden wie Auszüge eines Bekennerschreibens nach dem Angriff auf eine Polizeiwache im Leipziger Stadtteil Connewitz zeigten.
Wörtlich wurde dort verbreitet: „Bulle dein Duldungsstatus ist aufgehoben und deine Aufenthaltserlaubnis erloschen wie das Feuer in dem Streifenwagen hinter der Wache ( … ). Auch wenn du deine Uniform ablegst, so bleibst du immer noch das gleiche Schwein von Mensch und wirst weiterhin Ziel unserer Interventionen sein, wann immer wir es wollen.“
„Links- wie rechtsextremistische Gruppierungen sowie die Verbreiter deren kruder Hetze stellen sich bewusst gegen den Rechtsstaat und die Demokratie. Das hat mit Meinungsfreiheit, so wie das Grundgesetz sie allen Bürgern gewährt, nichts zu tun“, stellte der GdP-Vize fest.“
Auch Gruppen aus Göttingen nutzten das Medium. Politikforscher: Verbotene Internet-Plattform war zentral für linke Szene, HNA, 26.08.17. https://www.hna.de/lokales/goettingen/go...ne-8627219.html
„Die verbotene Internetplattform „linksunten.indymedia“ diente nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Matthias Micus als zentrale Plattform für Information und Mobilisierung in der linksextremen Szene. Auch Göttinger Gruppen nutzten die Plattform.
„Die Seite war für die Szene besonders bedeutend, weil sie von einer Vielzahl von Gruppen und Grüppchen aus ganz unterschiedlichen linken Strömungen genutzt wurde“, sagte der Politikwissenschaftler Micus in Göttingen. „Wer sich dafür interessiert, was gerade in der militanten Linken geplant und gedacht wird, kam um ‘linksunten.indymedia’ kaum herum“, sagte er.
Zusammen mit Information, Diskussion und Austausch sei Mobilisierung die zentrale Funktion der Seite gewesen. „Aktionen wie die Veröffentlichung von Namenslisten tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsradikaler oder die Ankündigung von Aktionen und Demonstrationen können Einzelne dazu ermutigt haben, selber bestimmte Straftaten zu begehen, zu denen auf der Seite aufgerufen wurde“, betonte er. Die Plattform sei aber nicht zur zentralen, offenen Planung von Straftaten benutzt worden.
Durch ihre große Bedeutung habe die Seite auch den Sicherheitsbehörden den Einblick in die linksextreme Szene erleichtert. „Deshalb könnte das Verbot für sie auch erstmal eher kontraproduktiv wirken“, sagte Micus.“
Alexandra Endres und Sören Götz: "Indymedia": "Zentrale Plattform für gewaltbereiten Linksextremismus", Zeit Online, 25. August 2017. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2...-interseite-faq
„Auf "linksunten.indymedia.org" forderten Nutzer zu Gewalt gegen Polizisten auf. Das Innenministerium hat die Plattform nun gesperrt – auch wegen der Randale bei G20.
Indymedia steht für Independent Media Center und ist ein internationales Netzwerk aus Medienaktivisten, Hackern und Journalisten. Ihr gemeinsames Ziel: auf Non-Profit-Basis unabhängig von großen Verlagen und Sendern zu berichten und so eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen – als "Teil der Bewegung".
Die Plattform entstand 1999 anlässlich einer Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle. Sie ist globalisierungskritisch und antikapitalistisch ausgerichtet. Auf Indymedia kann jeder veröffentlichen, auch anonym. Indymedia hat nicht den Anspruch, objektiv zu sein, sondern vielmehr radikal subjektiv. Der Slogan der Plattform: "Don’t hate the media, become the media!"
Was genau wurde vom Innenministerium verboten?
Verboten wurde nicht Indymedia insgesamt, sondern nur ein Teil davon: die Subdomain linksunten.indymedia.org. Genau genommen betrifft das Verbot den Verein, der linksunten bislang betrieben hat. […]
Warum ausgerechnet jetzt?
Vereinsverbote müssen gut begründet sein. Dem Innenministerium zufolge haben die Behörden über einen längeren Zeitraum hinweg Hinweise gesammelt, die ein Verbot von linksunten rechtfertigen könnten. Den Ausschlag scheinen aber die Krawalle zum G20-Gipfel gegeben zu haben:
"Die Ereignisse in Hamburg haben nochmals ein Ausmaß an linksextremistischer Gewalt bestätigt, dem der Staat nicht tatenlos zusehen konnte", heißt es in einer Erklärung des Innenministeriums. Linksunten habe "zu einem nicht unerheblichen Maße dazu beigetragen. Das Verbot der zentralen linksextremistischen Kommunikationsplattform war deshalb unabdingbar." Zwei der Betreiber von linksunten gehörten offenbar zu den Journalisten, denen beim G20-Gipfel die Akkreditierung entzogen wurde.“
Petra Sorge: "Indymedia": Lauter, radikaler, kompromissloser, Die Zeit, 26. August 2017. http://www.zeit.de/kultur/2017-08/indyme...ltung-rechtlich
„Das Verbot der linksextremistischen Website "linksunten.indymedia" ist inhaltlich nachvollziehbar. Rechtlich steht es jedoch auf einer wackligen Grundlage. […]
Allerdings hat das Bundesinnenministerium für die Begründung des Verbots einen anderen juristischen Hebels benutzt – das Vereinsrecht. Linksunten.indymedia gilt nun als linksextremer Verein, auch wenn dessen Name gar nicht im Vereinsregister aufgeführt ist.
Laut dem Vereinsrechtler Lars Leuschner von der Universität Osnabrück reicht es für die Definition des Vereins schon aus, wenn zwei Personen zusammenarbeiten, erklärt er ZEIT ONLINE: "Entscheidend sind vor allem die Merkmale des Zusammenschlusses und der Willensbildung, deren Nachweis bei konspirativen Vereinigungen natürlich schwierig ist."
Bei linksunten.indymedia haben die Aktivisten Nachrichten verschlüsselt und anonym ausgetauscht. Für Ermittler sind die Täter kaum zu erfassen. Leuschner zufolge ist ein Vereinsverbot "wohl das einzig wirksame Mittel, um gegen das Betreiben einer solchen Internetseite effektiv vorzugehen".
Der Grünen-Politiker und Rechtsanwalt Jürgen Kasek bezweifelt, dass das Portal die Definition des Vereins erfüllt. "Dass auf der Internetseite auch strafrechtlich relevante Texte standen, ist unbestritten. Allerdings reicht das nicht aus, sondern der Verein selber muss dies aktiv fördern und verbreiten", schreibt er in seiner Stellungnahme zu linksunten.indymedia.“
Verbot von "Linksunten.Indymedia" umstritten, NDR zapp, 30.08.2017. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/z...ksunten100.html
„Mit dem Verbot der Internetseite "linksunten.indymedia" verschwindet ein wichtiger Schaukasten in den politischen Extremismus von links und rechts in Deutschland aus dem Internet. Die Seite enthielt unter anderem Demo-Aufrufe, Ankündigungen von Aktionen, Bekennerschreiben, Enthüllungen über die rechtsextreme Szene, aber auch offene Aufrufe zur Gewalt gegen Staatsorgane und politische Gegner. […]
Möglicherweise erreicht er im Kampf gegen Extremismus aber genau das Gegenteil. Denn die Seite kann gespiegelt werden. Die Szene veröffentlicht einfach woanders weiter. Das sagt einer, der sich im linksextremen Spektrum auskennt: Sören Kohlhuber. Der freie Journalist ist umstritten, weil er während der G20-Proteste andere Berichterstatter mit Foto via Twitter als Mitglieder der Identitären Bewegung anprangerte. "Zeit Online" trennte sich daraufhin von diesem Autoren seines "Störungsmelder".[…]
In den Texten werden auch Namen aus der rechtsextremen Szene genannt. Insofern ist "linksunten.indymedia" auch als "Pranger gegen Rechts" zu verstehen. Journalistische Kriterien werden also kaum beachtet. Nichtsdestoweniger moderieren die Betreiber und löschen Posts. Nach welchen Kriterien sie dies tun - unklar. Für ZAPP waren sie nicht zu erreichen. Ebensowenig wie Aktivisten in Freiburg, deren Wohnungen aufgrund des Verbotes durchsucht worden sind.
Nur wenige kennen sich in der linksextremen Szene aus. Olaf Sundermeyer ist einer. Er arbeitet für die Investigation des RBB und twitterte nach Bekanntgabe des Verbotes von "linksunten.indymedia":
Die Demokratie müsse eine Gegenöffentlichkeit wie "linksunten.indymedia" aushalten. Damit steht er nicht allein. Auch "Reporter ohne Grenzen" sehen in dem Verbot einen Angriff auf die Pressefreiheit.“
Dieter Stein: Verbot von „Linksunten.Indymedia“. Es war höchste Zeit, Junge Freiheit, 31. August 2017. https://jungefreiheit.de/debatte/streifl...-hoechste-zeit/
„Wir reiben uns die Augen, denn seit 2002 berichtet die JUNGE FREIHEIT regelmäßig über die Rolle des Internetportals Indymedia, von dem sich 2008 die Seite „Linksunten.Indymedia“ noch einmal radikalisiert abgespalten hat. Diese Plattformen sind seit vielen Jahren ungehindert die zentrale Drehschreibe der gewaltbereiten, linksextremen Szene.
Hier werden unmittelbar nach Verübung von Anschlägen auf Polizei, Bundeswehr und politisch Andersdenkende (wie CDU, AfD und andere) Bekennerschreiben veröffentlicht und die Straftaten gefeiert. Es werden gewalttätige Demonstrationen und Angriffe auf Wahlkämpfer der AfD koordiniert, Pläne zur Montage von Brandsätzen und Aufrufe zu tätlichen Attacken auf Polizeibeamte veröffentlicht und „Nazis“ geoutet. […]
Als das rechtsextreme Portal „Altermedia“ verboten wurde, verhaftete die Polizei die Betreiber und ermittelte gegen sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Warum wird nicht nach demselben Schema gegen Indymedia vorgegangen?
Wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich die linksextremen Aktivisten eines großen gesellschaftlichen Rückhalts sicher sein können. Politiker der Linken und der Grünen solidarisierten sich wie auch Journalisten linker Medien mit den Linksextremisten – ohne daß es einen bürgerlichen Aufschrei geben würde.“
Martin Lutz: „linksunten.indymedia“-Verbot BKA warnt vor schweren Vergeltungsaktionen von Linksextremisten, Die Welt, 26.08.2017. https://www.welt.de/politik/deutschland/...xtremisten.html
„Nach dem Verbot der Internetplattform „linksunten.indymedia“ rechnet das Bundeskriminalamt (BKA) mit Vergeltungsaktionen von Linksextremisten. Es warnt davor, dass es zu schweren Brandstiftungen wie beim G-20-Gipfel in Hamburg kommen könne. „Die linke Szene dürfte das Verbot als Folge der öffentlichen und politischen Debatte um die gewalttätigen Ausschreitungen des G-20-Gipfels im Juli in Hamburg sowie über die linke bzw. linksextreme Szene in Deutschland auslegen“, heißt es in einer vertraulichen „Gefährdungsbewertung“ des BKA vom 25. August, die der WELT AM SONNTAG vorliegt.“
„linksunten.indymedia“ Betreiber reichen Klage gegen Verbot der Plattform ein, Hamburger Morgenpost, 30.08.17. http://www.mopo.de/news/politik-wirtscha...rm-ein-28251322
„Einer der Anwälte der Betreiber bestätigte, dass seine Mandanten am Mittwoch Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht hätten. Gleichzeitig erhoben die Betroffenen Beschwerde gegen die vergangene Woche durchgeführten Hausdurchsuchungen beim Freiburger Verwaltungsgericht. Bei den Durchsuchungen fanden die Einsatzkräfte unter anderem Messer und Schlagstöcke.
Der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK) hatte auf das Verbot mit harscher Kritik reagiert. „Das Abschalten der Seite ist ein untauglicher Versuch“, sagte Hamburgs BDK-Chef Jan Reinecke. Die Seite werde sicher nächste Woche über einen anderen Server wieder auftauchen. Und wenn die Plattform wirklich eine so zentrale Rolle bei der Mobilisierung von Linksextremen spiele, „dann hätte das Innenministerium sie doch besser vor dem G20-Gipfel abgeschaltet und nicht vier Wochen danach“.“
Peter Mühlbauer: "Linksunten.Indymedia" verboten, Heise Telepolis, 25. August 2017. https://www.heise.de/tp/features/Linksun...en-3812671.html
„Auch wenn Linksunten.Indymedia nicht in ein Vereinsregister eingetragen ist, handelt es sich dem Bundesinnenministerium nach faktisch um einen Verein, dessen Mitglieder keine schriftlichen, sondern lediglich mündliche oder durch konkludentes Handeln etablierte Verträge schließen mussten. In der Begründung für das Verbot heißt es, die Plattform der Autonomenszene richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und laufe "nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider".
Linksunten.Indymedia ist nicht identisch mit der weiterhin erlaubten Website "de.indymedia.org", die zu einem weltweiten Verbund von Sites gehört, der nach den Protesten gegen das Treffen der Welthandelsorganisation WTO 1999 in Seattle aufgebaut wurde, weil die Organisatoren eine ihrer Ansicht nach verzerrte Darstellung durch Mainstreammedien beklagten. Auf dem jetzt verbotenen Portal feierten Linksextremisten immer wieder Autobrandstiftungen, andere Anschläge und Gewalt gegen Polizeibeamte und Menschen, die man anderer Meinung wähnte. Auch Aufrufe zur Gewalt, Bekennerschreiben für Anschläge und Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails wurden dort regelmäßig veröffentlicht.
In einer "Die soziale Revolution ist und bleibt die einzige Perspektive" betitelten Selbstdarstellung der Betreiber heißt es: "Ob Besetzungen, Anschläge, Debatten oder Lohnkämpfe - es passiert wenig Rebellisches im Hier und Jetzt, zu dem nicht auf 'linksunten' aufgerufen oder berichtet wird." Zum Prinzip der Anonymität der Verfasser der Texte meinten sie an anderer Stelle: "Wir wollen gar nicht wissen, wer all die schönen Anschlagserklärungen veröffentlicht hat". Entfernt wurden Beiträge im Regelfall nur, wenn man sie für "Schwarze Propaganda" politischer Gegner hielt. […]
Das Verbot kommt eine Woche, nachdem in den USA die Neonazi-Website The Daily Stormer faktisch vom Netz genommen wurde - nicht durch ein behördliches Eingreifen, sondern durch die IT-Unternehmen GoDaddy, Google und Cloudflare. Die Reaktionen auf diese Verbannung (vgl. US-Bürgerrechtler: Redefreiheit im Netz muss auch für Neonazis gelten) weisen auf ein Paradoxon hin, das auch bei der Zensur von Linksunten.Indymedia greift (wo sich unvoreingenommene Beobachter anhand von Beiträgen Linksextremer ein Bild machen konnten, das dem Narrativ, Gewalt gehe immer nur von der anderen Seite aus, durchaus widersprach): Wer Meinungsäußerungen potenziell gefährlicher Gruppen verbietet, der sorgt dafür, dass man sie potenziell unterschätzt (vgl. Information und Spektakel).“
Selbstsicht
Lena Kaiser, Katharina Schipkowski: Indymedia-Aktivist über Schließung: „Angriff auf die Gegenöffentlichkeit“, taz, 31. 8. 2017. http://www.taz.de/!5441290/
„Das Bundesinnenministerium hatte die Internetplattform sieben Wochen nach den G20-Krawallen verboten. Die taz hat mit einem Aktivisten des Netzwerks gesprochen. […]
taz: Charly, fühlen Sie sich als ein Protagonist von Indymedia verfolgt?
Charly: Alle, die im Widerstand sind und eine nicht kontrollierte Gegenöffentlichkeit schaffen, sind, wie wir wissen, jetzt verfolgt. Die Abschaffung der Website linksunten.indymedia.org ist das beste Beispiel dafür, dass eine Regierung mit fragwürdigen Mitteln versucht, eine Gegenöffentlichkeit plattzumachen.
Reporter ohne Grenzen kritisiert das Verbot der Internetplattform als Angriff auf die Pressefreiheit. Was hat linksunten.indymedia mit Journalismus zu tun?
Mit Journalismus im Sinne eines Ausbildungsberufs hat das überhaupt nichts zu tun. Die Presse ist eine Institution, die die Bevölkerung über das, was politisch, sozial und kulturell passiert, informieren darf. Sie ist ganz bestimmten Regeln unterworfen, die orientieren sich an der Regeln der bürgerlichen, repräsentativen Demokratie und der kapitalistischen Nachrichtenverwertung. Indymedia nimmt diese Regeln nicht ernst, weil wir eine Open-Posting-Plattform sind, auf der jeder und jede ihre Nachrichten verbreiten können – grundsätzlich. […]
Warum haben Indymedia und Linksunten unterschiedliche Webseiten, wie kam es zu der Spaltung?
Es gab eine längere Auseinandersetzung darüber, in welchem Umfang Outings von Nazis stattfinden sollen. Darüber gab es unterschiedliche Auffassungen. Bei Indymedia ist es so, dass alle einen Antrag stellen können, um in das internationale Netzwerk aufgenommen zu werden. Das hat Linksunten gemacht und die Kriterien erfüllt. Damit sind sie Teil von Indymedia.
Es ist mit linksunten.indymedia aber nur eine Website verboten. Was heißt das für das Netzwerk Indymedia?
Es gibt über 100 Indymedia-Center weltweit. Wenn eine Seite angegriffen wird, wird ein Teil des Netzwerks angegriffen. Aber um das Netzwerk brachliegen zu lassen, müssten weltweit alle Teile angegriffen werden. Jetzt ist es so, dass linksunten.indymedia.org von staatlicher Seite abgeschaltet worden ist. Das ist ein Angriff auf eine freie Meinungsäußerung, das wird aber so nicht gesagt. Stattdessen nutzen die Behörden einen Vereinsparagrafen, um etwas zu legitimieren, wo es nichts zu legitimieren gibt. […]
Braucht es in Zeiten von Blogs und Socialmedia überhaupt noch so etwas wie Indymedia?
Ohne so eine Seite würde es keinen Ort für Kritik an herrschender Politik geben. Facebook und Youtube sind staatstragend. Da gibt es ein kapitalistisches monetäres Interesse. Inzwischen ist ja der medienwissenschaftliche Stand, dass diese Kanäle rechtsverstärkende, populistische Meinungen transportieren und der Anpassungsdruck relativ groß ist. Facebook ist keine Alternative.“
„linksunten“: Verbotene Internetplattform will bald wieder online sein, Der Westen, 26.08.2017. https://www.derwesten.de/politik/verbote...d211712725.html
„Sie werde bald wieder online sein: Das hat die am Freitag verbotene linksextremistische Netzplattform „linksunten“ jetzt angekündigt.“
Text der kurzzeitig auf linksunten.indymedia nach dem verbot zu finden war:
https://www.heise.de/tp/features/Unabhae...ce-3410887.html
Erstmeldung
Innenministerium verbietet linkes Nachrichtenportal „linksunten.indymedia.org“ [Update: 10:53], perspektive-online.net, 25. August, 2017. https://perspektive-online.net/2017/08/e...-indymedia-org/
„Es ist ein schwerer Angriff auf die linke Bewegung und die Pressefreiheit: Heute früh wurde ein Vereinsverbot gegen das linke Portal „linksunten.indymedia.org“ erlassen.
Laut Medienberichten wurde eine entsprechende Verbotsverfügung den mutmaßlichen Betreibern bei drei Hausdurchsuchungen in Freiburg zugestellt. Demnach wurde „linksunten“ zu einem Verein erklärt, der sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ richte und „nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider“ (§3 VereinsG) laufe – und dies obwohl „linksunten.indymedia.org“ gar kein eingetragener Verein ist.“
https://de.indymedia.org/
Orten(A)uer*innen: Solitranspiaktion: Linksunten einschalten! Den Staat abschalten!, indymedia.org, 29.08.2017. https://de.indymedia.org/node/13611
„Für uns war und ist Linksunten und das weltweite IMC-Netzwerk ein wichtiger Teil der internationalen, emanzipatorischen Bewegung gegen den Kapitalismus, gegen Herrschaft, gegen Rassismus und gegen den Staat. […]
Kommt alle am Samstag, den 9. September, um 19 Uhr zur großen Soli-Demo nach Freiburg!
Wir brauchen Linksunten.
Linksunten braucht uns.
Der Staat ist scheiße und den braucht keine*r.“