Die politische Bedeutung der Zwangsvereinigung
1. Historische Einordnung
Stalin hatte von Anfang an vor, die sowjetische Besatzungszone von Deutschland dauerhaft in sein eigenes Herrschaftssystem einzugliedern. Um das zu erreichen, müsste er ein sowjethöriges Regime in Ostdeutschland installieren. Das war auf direktem Weg, wie kurz vorher in Polen und Rumänien praktiziert, nicht möglich. Die Westalliierten nötigten ihm die Zustimmung zu freien Wahlen im Jahre 1946 ab. Im sich herausbildenden Parteiensystem der SBZ wurde zwar die KPD von Anfang an privilegiert. Doch hatte sich dort auch eine CDU, eine liberale und vor allem die SPD etabliert. Letztere gewann rasch mehr Mitglieder als die KPD und eine vergleichsweise höhere Attraktivität. Diese Entwicklung bedrohte das Konzept Stalins der Schaffung einer Diktatur sowjetischen Musters ein demokratisches Antlitz zu verleihen. Spätestens nach der herben Niederlage, die die kommunistischen Parteien bei den ersten freien Wahlen in Österreich und Ungarn Ende 1945 erfuhren, hatte Stalin daher beschlossen, in der SBZ eine härtere Gangart einzulegen.
Das erste und wichtigste Opfer wurde die SPD. Um sie in der SBZ auszuschalten bedienten sich die Kommunisten des in beiden Arbeiterparteien SPD und KPD vorhandenen Wunsches, durch ein Zusammengehen beider die Einheit der Arbeiterbewegung wiederherzustellen. Unterstützt wurde dieser Wunsch durch den Glauben, dass mit Hilfe einer solchen Einheit die Machtergreifung Hitlers zu verhindern, und der Frieden zu bewahren gewesen wäre. Doch Teile der SPD befürchteten durch ein solches Zusammengehen den Verlust ihrer politischen Freiheit. Sie hatten ein gutes Gedächtnis und erinnerten sich noch an die harten Kämpfe der KPD gegen die Demokratie der Weimarer Republik und insbesondere gegen die SPD, die von der Moskau-hörigen KPD auf Stalins Weisung als Sozialfaschisten diskreditiert wurden. So artikulierte sich innerhalb der SPD auch Widerstand, den die sowjetischen Behörden, teils durch Bestechungsversuche, teils durch Druck, bis hin zu Verhaftungen und Terror, auszuschalten versuchten.
Eine freie, unabhängige und also demokratische Willensbildung in der Reihen der SPD war unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich. Lediglich in den drei westlichen Besatzungszonen gelang es den Gegnern dieses „Vereinigunsprozesses“ eine legendär gewordene Urabstimmung durchzusetzen, wo sich 92 % der Mitglieder faktisch gegen ihre Einverleibung durch die KPD unter dem Diktat der sowjetischen Besatzungsmacht aussprachen.
Am 22. April 1946 erfolgte im Ostberliner Admiralspalast am S-Bahnhof Friedrichstraße der berüchtigte Handschlag von Otto Grotewohl, dem Vorsitzenden des sozialdemokratischen Zentralausschusses und dem KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck, welcher das Emblem der neu entstehenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zieren sollte. Mit diesem Handschlag wurde das Ende der SPD in Ostdeutschland für Jahrzehnte besiegelt.
Während sich die SED anfangs um den Schein von Gleichberechtigung bemühte, ließen die Kommunisten keinen Zweifel daran, wer in der Partei das Sagen hatte. Von Anfang an wurden die Schlüsselpositionen von ihnen besetzt. Ende der 40-Jahre wurde die formal-paritätische Besetzung der Gremien abgeschafft und die meisten einflussreichen Posten in der Partei und Mandate durch ehemalige KPD-Mitglieder besetzt. Vor allem zwischen 1948 und 1951 kam es zu Säuberungen und zu weiteren Inhaftierungen von Sozialdemokraten. 1948 erklärte sich die SED auch zu einer kommunistischen Partei neuen Typus, d.h. zu einer reinen, streng hierarchisch organisierten Kaderpartei unter Ausmerzung jeglicher innerparteilicher Demokratie. Damals wurde Sozialdemokratismus zum schlimmsten Vorwurf, den die SED einem ihrer Mitglieder machen konnte.
Erich Ollenhauer schätzte später eine, dass diesem Vernichtungsprozess der Sozialdemokratie in SBZ und DDR schätzungsweise 20000 ihrer Mitglieder durch Verhaftungen bis hin zu Erschießungen zum Opfer gefallen sind. Schumacher hatte 1946 den ostdeutschen Sozialdemokraten geraten ihrer Vernichtung durch Einverleibung mit Hilfe einer Selbstauflösung zuvorzukommen; ein Rat, der die ganze Ausweglosigkeit der Sozialdemokraten kennzeichnete, und der unter den obwaltenden Bedingungen auch nicht ansatzweise durchsetzbar war.
Diese Ausschaltung der SPD war die Voraussetzung für die Errichtung der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland. Sie besiegelte die politische Trennung von West- und Ostdeutschland und damit die Teilung Deutschlands.
Dieser Zustand fand erst mit und durch die Neugründung der sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) am 9.Oktober 1989 ein Ende. Sie war es, die der zeitgleich ausgebrochenen friedlichen Revolution in der DDR ihre demokratische Richtung gab, die schneller als erwartet in den Prozeß zur Wiederherstellung der Einheit der Deutschen Nation mündete.
2. Historische Bedeutung
Die Zwangsvereinigung ist ein Beleg für den totalitären Herrschaftsanspruch des kommunistischen, stalinistischen Russland und seiner Helfer, der deutschen kommunistischen Partei.
Der Prozess der Zwangsvereinigung bezeugt den innersozialdemokratischen Widerstand gegen ihre Vernichtung und für die Aufrechterhaltung politischer Freiheiten auch in der sowjetischen Besatzungszone. Er rangiert damit ebenbürtig neben dem Widerstand der SPD gegen die Machtergreifung Hitlers und seiner Ermächtigungsgesetze.
Die Erfolglosigkeit des Widerstands gegen die Zwangsvereinigung verdeutlicht, wie wichtig und wie schwierig gelegentlich der Kampf für die Aufrechterhaltung von Rechtsstaat, der Würde des Menschen und für die Menschenrechte ist.
Die politische Idee von der Einheit der Arbeiterbewegung war eine Legende, die wie die Geschichte der Zwangsvereinigung zeigt, von der KPD nur instrumentalisiert wurde, um die Vernichtung der Sozialdemokratie zu legendieren, und den innersozialdemokratischen Widerstand zu minimieren.
Die Vernichtung der Sozialdemokratie durch die KPD 1946 reiht sich ein in den Kampf der KPD gegen die Weimarer Republik. Vor diesem Hintergrund war die Abspaltung des kommunistischen Flügels von der SPD unvermeidbar und ein notwendiger Akt der Trennung unvereinbarer politischer Selbstverständnisse. Die SPD hat Deutschland freier, solidarischer und gerechter gemacht. Die kommunistische Partei hat Deutschlands Demokratie geschwächt, das Land destabilisiert, eine Diktatur errichtet, und die Teilung Deutschlands betrieben.
3. Aktuelle Bedeutung
Ein öffentliches Gedenken der SPD an die Ereignisse der Zwangsvereinigung vor nunmehr 70 Jahren ist geeignet die Notwendigkeit des Engagements für Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit als dauernde Aufgabe vor Augen zu führen.
Die SPD kann stolz sein auf ihren Beitrag zur Freiheit und für die Demokratie in Deutschland. Dieser Beitrag war mit Opfern verbunden. Es ist wichtig, sich klar zu sein, dass Demokratie und Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern bewahrt, beschützt und ausgebaut werden müssen. Dabei sind immer wieder Mut, Courage und intellektuelle Stärke gefordert.
Heute geht es um die Integration einer hohen Zahl an Ausländern, der Abwehr islamistischer Gefahren, den sozialen Folgen des Klimawandels, die Fortentwicklung der Europäischen Union und den Umgang mit den internationalen Krisenherden die tief in unser eigenes Land hineinwirken. Die SPD besitzt mit ihren Traditionen und Grundwerten eine gute Grundlage für die Bewältigung dieser Herausforderungen sowie attraktive politische Angebote zu entwickeln und umzusetzen.
Sie ist in ihrer langen Geschichte den Weg von Freiheit, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit gegangen und hat einen großen Beitrag für die Demokratie in Deutschland, für die soziale und individuelle Emanzipation geleistet.
Sie wird diesem Markenkern treu bleiben. Darauf kann sich Deutschland verlassen.
Diese Denkschrift wurde von den Autoren Gunter Weißgerber und Stephan Hilsberg an Sigmar Gabriel gesandt. Sie regen dabei an, dass die SPD den 70.Jahrestag der Zwangsvereinigung öffentlich würdigt.
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