Die SPD und ihr ewig währender Konflikt
In der SPD zeichnet sich einmal mehr ein Streit zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethikern ab, wie ihn bereits Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts so trefflich beschrieb. Wie heute (14.10.2014) in der LVZ zu lesen war, macht die SPD- Basis Front gegen die Aussage von Martin Dulig vom 3.Oktober, in der er die Meinung vertrat, dass man zur Lösung des Problems die Zuwanderung von Flüchtlingen eindämmen, teilweise sogar stoppen müsse. Man sollte ergänzen, dass es sich hier nur um einen Teil der SPD-Basis handelt, denn die Reaktionen in den sozialen Netzwerken waren durchaus unterschiedlich und nicht wenige stimmten seiner Aussage zu.
Die Gesinnungsethiker beharren dabei auf ihren moralisch reinen Standpunkten. Sie sind gegen Gewalt, für eine saubere Umwelt, für Frieden und gegen die Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Sie schlagen Pfähle ein, ziehen rote Linien und stellen unverhandelbare Maxime auf. Weil das Grundrecht auf Asyl nicht verhandelbar sei, könne man auch nicht über eine Regulierung der Zuwanderung sprechen, so deren kategorischer Imperativ. Ihren Gegnern sprechen sie dabei dann schnell moralisches Handeln ab. In der SPD wird dann immer der Vorwurf erhoben, man verlasse den sozialdemokratischen Wertekonsens. Diesen Vorwurf musste sich nun auch Martin Dulig wie viele Verantwortungsträger vor ihm gefallen lassen.
Verantwortungsethiker versuchen hingegen, auf der Grundlage eines profunden Wertesystems Lösungen für die Fragen der Zeit suchen. Dabei wird man auch unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Es bedarf Abwägungen und einer undogmatischen Bewertung der Lage aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Dies ist kein Verrat an Werten, sondern deren realpolitische Umsetzung, denn natürlich wird man in der Politik immer Zwiespälte vorfinden und mitunter eben auch Entscheidungen treffen müssen, wo in beiden Waagschalen existenzielle Werte liegen.
Gesinnungsethiker sind oft nicht in der Lage, realpolitische Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben. Wie waren die Geiseln der RAF zu befreien, wenn nicht durch den gewaltsamen Einsatz der GSG 9? Wie konnte man den mit dem Tod bedrohten Menschen in Kosovo helfen, wenn nicht durch eine Militäreinsatz der Nato? Wie können wir das Flüchtlingsproblem lösen, wenn nicht über eine Begrenzung der Zuwanderung gesprochen werden darf?
Es ist immer leicht, aus der Opposition heraus die gesinnungsethische Fahne zu hissen und die Regierung moralisch in die Ecke zu stellen. Aber die SPD trägt sowohl im Bund wie auch im Land Sachsen Regierungsverantwortung. Sie hat deshalb dafür zu sorgen, dass unser Staatswesen durch die Zuwanderung nicht kollabiert. Wenn die Kanzlerin sagt, „Wir schaffen das!“, aber weder sie, noch irgendjemand sonst dieses „das“ zu definieren weiß, hat die Politik die Kontrolle über ihre Aufgabe verloren. Niemand kann sagen, wie viele Flüchtlinge kommen, wenn wir nicht versuchen, deren Zahl zu regulieren. Die momentane Situation wird nur von einem Heer an Freiwilligen getragen, die nicht auf Dauer zur Verfügung stehen. Die Behörden müssen tausende neue Stellen schaffen, es sollen allein 3000 neue Polizisten eingestellt werden. Ebenso sind Arbeitsagenturen und das Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge völlig überfordert zurzeit, von fehlenden Schulen und Wohnungen ganz zu schweigen. Niemand weiß, wo das neue Personal in der Eile herkommen soll. Die Lösung dieser Probleme wird natürlich nur gelingen, wenn wir wissen, weil viele Flüchtlinge in den nächsten Jahren zu uns kommen. Regulationsmechanismen sind schmerzlich, wie Martin Dulig ebenfalls in der kritisierten Rede sagt, aber als Ergebnis der Abwägung nicht zu vermeiden, denn nur mit einem funktionierenden Staatswesen können wir der Aufgabe gerecht werden.
Es ist durchaus möglich, diese Zuwanderung auf humane Weise zu regulieren. Man kann den Menschen in den Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon helfen, ihre Lebenssituation dort zu verbessern. Diese Menschen sind dort zumindest in Sicherheit und werden versorgt. Es geht also vorliegend nicht darum, Menschen die Tür vor der Nase zuzusperren, die ansonsten im Bombenhagel umkämen. Man könnte diesen Menschen auch eine legale Einreiseperspektive für einen späteren Zeitpunkt schaffen, damit sie sich nicht in die Fänge von Schleppern begeben und vieles mehr. Wenn man aber die Diskussion über mannigfaltige Lösungsansätze verweigert, wird man all diese Entscheidungen nicht treffen können.
Sigmar Gabriel, Frank Walter Steinmeier und Martin Dulig haben erkannt, dass die Aufgabe, also dieses ominöse „DAS“ der Kanzlerin nur zu bewältigen ist, wenn man deren Ausmaß erkennen und dann entsprechende politische Maßnahmen einleiten kann. Dies geht nur, wenn wir einigermaßen gesicherte Zahlen über die Zuwanderung haben, also die Politik die Kontrolle über ihre Aufgabe zurückgewinnt. Die SPD tut gut daran, sich der politischen Aufgabe zu stellen, statt sich in den gesinnungsethischen Winkel zurückzuziehen und Antworten auf die Fragen der Zeit zu verweigern.
Michael Clobes
(Michael Clobes war Vorsitzender der SPD Leipzig. Er ist Rechtsanwalt.