Herbst ’89 im Blick der Stasi Die geheimen Berichte an die SED-Führung - Auswahledition -
Herausgegeben von Daniela Münkel
Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des MfS
Berlin 2014
ISBN 978-3-942130-83-7
broschiert, 191 Seiten, kostenlos über den BStU bestellbar
Man ist etwas ernüchtert nach der Lektüre dieser Auswahl wichtiger MfS-Dokumente aus der Zeit der „Wende“ damals im Herbst 89. Irgendwie hatte man mehr erwartet. Das Thema der friedlichen Revolution in der DDR ist noch immer so aktuell, dass man Neuigkeiten für möglich hält.
Was ist neu an dem vorliegenden Band von Daniela Münkel, Projektleiterin in der Forschungsabteilung der Behörd? So richtig wohl nichts und dennoch interessant.
So ist auch heute die Bedeutung aufschlussreich, die das MfS den neuen Initiativen und Parteien aus der Mitte der damaligen Opposition, allen voran „Neues Forum“, Sozialdemokraten (SDP) und DA (Demokratischer Aufbruch) einräumt. Auffällig dabei die kleinen Unterschiede. So plädiert die Staatsicherheit im Laufe des Herbstes für eine Anerkennung des Neuen Forums, während sie bei der SDP ein Rechtsgutachten anforderte, welches, wie wir wissen Landesverrat unterstellte. Gleichwohl, deutlich wird, wie sehr der Staatssicherheit im September 89 die Kontrolle über die neuen oppositionellen Initiativen entgleitet, deren Erstarken, wie auch das der damit einhergehenden Demonstrationen in der DDR das MfS nicht mehr verhindern kann.
Interessant, wie lange das MfS diese Berichte an das Politbüro schrieb. Die SED ist schon auf dem Rückzug, da arbeitet das Ministerium immer noch. Nunmehr aber ist der neue Ministerpräsident Modrow der Adressat, statt wie bisher der Generalsekretär der SED, das war sonst immer Honecker, zuletzt Krenz.
Man merkt den Berichten den Frust der Stasi-Offiziere über die Handlungsunfähigkeit ihrer Partei- und Staatsführung gegenüber den Demonstranten und Oppositionellen an. Ein Bericht ist dabei besonders auffällig. Denn er beschäftigt sich eingehend mit der Inakzeptanz von Egon Krenz bei der DDR-Bevölkerung, den sie wie auch weite Teile der SED nicht für reformfähig halten. Hier nimmt das MfS offen Einfluss auf die Entscheidungen der Parteiführung. In der Tat trat daraufhin Krenz zurück und die Bühne wurde frei für Gregor Gysi, dessen Karriere an der Spitze der SED in diesen Tagen begann. Zwar kann er die Partei nicht vor dem Machtverlust bewahren. Ihre Diktatur gehörte damals schon der Vergangenheit an. Aber er kann sie vor ihrer Auflösung retten und die Weichen für ihre heutige Bedeutung stellen. Zweifelsohne hatte das MfS da den richtigen Riecher, ohne ihn aber mit Namen zu nennen.
Wie tief die Krise der DDR damals bereits vorangeschritten war, merkt man den Wochenberichten des MfS an, denen jedes Mal eine detaillierte Statistik über die damalige Ausreisewelle angefügt ist. Und da kann man lesen, dass in den Wochen vor dem Mauerfall wöchentlich mehr als 50 Ärzte, eine gleiche Anzahl an Diplom-Ingenieuren usw. die DDR verlassen haben. Der DDR gingen die Leute aus.
Das MfS kannte die Symptome des Untergangs ihrer Diktatur sehr genau. In diesen Tagen und Wochen vom September bis November erlosch sie. Der Stasi wird von der eigenen Partei der schwarze Peter zugeschoben. Das kränkt die Genossen von der Firma schon. Auch das kann man zwischen den Zeilen der überlieferten Dokumente lesen. Dennoch, routiniert beliefert das MfS ihre Partei weiterhin mit Informationen und wickelt sich dann selber ab. Panik sieht anders aus.