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Dieses Thema hat 2 Antworten
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Gunter Weissgerber Offline




Beiträge: 626

17.06.2015 19:46
17. Juni 1953 - 17. Juni 2015: Stephan Hilsberg SDP/SPD Antworten

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Gedenkrede zum 17.Juni 1953 am 17.6.15 in Leipzig.pdf
Stephan Hilsberg Offline




Beiträge: 194

18.06.2015 09:37
#2 RE: 17. Juni 1953 - 17. Juni 2015: Stephan Hilsberg SDP/SPD Antworten

Neuer Blogeintrag:

Die Angst des 17.JuniAnnonce.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Stephan Hilsberg Offline




Beiträge: 194

19.06.2015 22:54
#3 RE: 17. Juni 1953 - 17. Juni 2015: Stephan Hilsberg SDP/SPD Antworten

Aus Anlaß dieser Rede entwickelte sich eine kleine Korrespondenz mit Jule (Juliane Rauprich), die weil sie etwas verblüffendes zu Tage förderte, ich hier wiedergebe.

Jule 19.Juni um 0.26 Uhr:

Zitat
Lieber Stephan,

Deine Rede ist höchst interessant, anregend. Zur spezifisch deutschen Erinnerung an die eigene Geschichte gäbe es viel zu sagen. Ich denke manchmal, wir erinnern uns in einer Art, die sehr aufgesetzt ist. In Ilmenau habe ich viele Jahre das Gedenken der Stadtoffiziellen am 27. Januar mit erlebt, einmal auch selbst gesprochen. Mir ist immer wieder bitter in den Sinn gekommen, dass an einer "Kranzabwurfstelle" eine (lästige, peinliche) Pflichtaufgabe absolviert wird. Es sind so oft die toten Juden, die Opfer, denen man sich verpflichtet fühlt. Der GEdanke, den lebenden Juden hier und in Israel eine bedingungslose Solidarität entgegenzubringen, ist nicht weit verbreitet. Wir waren im Stigmatisieren, im Ausgrenzen, im Verächtlichmachen, im Morden letztendlich bestens organisiert. Wir sind es auch im Erinnern. Im verordneten Erinnern.
Und die Demokratie ist wehrhaft in der Phrase. Die Wehrhaftigkeit braucht die guten, die ruhigen Bedingungen, den Wohlstand.
Was ich sagen will und nicht gebacken bekomme: Es ist so etwas Unechtes im deutschen Erinnern, oder zu Kopflastiges. "Man tut es eben". Und wenn, dann gründlich. Kein TV Programm zu keiner Stunde keines Tages, das nicht irgendwie Hitler bringt. In 30 oder 50 Jahren sind es vielleicht die Kommunisten?
Dir ein schönes Wochenende und liebe Grüße
jule



meine Antwort heute morgen:

Zitat
So ein Gedenktag ist ein guter Anlaß mal übers Tagesgeschehen hinauszuschauen. Mir zumindest ist es so gegangen, dass am Anfang meiner Überlegungen nur ein gewisses Unbehagen stand,
nach der Devise,
1.eigentlich ist doch alles zum 17.Juni gesagt,
2. diese ewigen Wiederholungen machen das Gedenken langweilig,
3. eine aktuelle Bedeutung hat dieser Tag nicht mehr.
Doch dann habe ich mich versucht frei zu machen, von unserem mainstream, so wie ich ihn empfinde indem ich mich einer alten Weisheit besonnen habe, die mir seit einigen Jahren weiterhilft.
Ich habe angefangen mein Gefühl zu befragen, völlig ohne Rücksichtnahme auf die sogenannte öffentliche Meinung. Und dann bin ich plötzlich fündig geworden.
Und plötzlich ist mir viel mehr eingefallen, als ich für möglich gehalten hätte. Ich habe sogar auf mehrere Aspekte verzichtet. Trotzdem ist mir die Rede leider zu lang geworden. Aber das hat mit etwas anderem zu tun.
Denn es sind viele Doppelungen drin. Die hätte ich eigentlich rauskürzen müssen. Durch diese Doppelungen geht Dir als Redner das Publikum von der Fahne. Na gut, das konnte ich nicht mehr ändern. Und es ist mir erst richtig während des Vortrages augefallen.
Unschön war, dass etliche Leute während meiner Rede gegangen sind. Ich glaube, das waren Stadtverordnete. Denen war das zu lang. Was ich nicht wußte, war, dass die Stadtverordnetensversammlung ihre Sitzung extra für diese Veranstaltung um eine Stunde unterbrochen hat. Während der Rede machte mich das Weg-Gehen von diesen Leuten unsicher. heute denke ich, dass sie unhöflich waren. Hollitzer hatte mir das anschließend von der Sitzung erzählt. Es wäre besser gewesen, er hätte mich vorgewarnt, dann hätte ich vielleicht auf 20 Minuten gekürzt. Na ja, weiß ich aber nicht.
Auf jeden Fall war es gut, die Rede zum Anlaß zu nehmen auf die Defizite unsere demokratischen Kultur hinzuweisen. Und zwar nicht nur wegen Ramelow oder Tillich. Sondern weil die Freiheit heute nicht im Zentrum unserer Werte steht. Weil wir Defizite haben. Und denen nachzuspüren, dass macht den Wert solcher Gedenktage aus. Klar, kann das schnell den Charakter von Sonntagsreden annehmen. Andererseits, wann soll man denn darüber nachdenken, wenn nicht an solchen Tagen. Und es ist mir bewußt geworden, wie sehr das Fehlen dieses Wertes unsere demokratische Kultur bestimmt. Wahrscheinlich ist das ein Grund dafür, dass unsere Demokratie so wenig Strahlkraft hat.

ich glaube eben nicht, dass unsere Demokratie den Wohlstand braucht. Wir als Deutsche brauchen ihn. Bei uns steht Wohlstand vor Zivilcourage. Doch letzteres bräuchten wir viel dringender. Auch daran läßt sich erkennen, wie wenig die Freiheit den Leuten wirklich bedeutet. Sie führt als Grundwert ein Schattendasein. Theoretisch kennen wir alle die Bedeutung von Freiheit. Aber im Leben sind Sicherheit, Wohlstand, Gerechtigkeit vorrangig. Das macht das Leben langweilig.

Aber mal wirklich etwas wagen. Mal neue Wege gehen, sich etwas trauen. Das ist selten und wird kaum honoriert. Auch Gewissenskonflikte sind heute eher selten. sie entstehen ja als Herausforderung der eigenen meinung, des eigenen Selbstverständnisses, das von den Verhältnissen in Frage gestellt wird. Davon gibt es Beispiele im Großen wie im Kleinen. Im Großen ist z.B. das Unterordnen unseres Justizministers bei der Vorratsdatenspeicherung ein Beispiel für Unterordnung und nicht des Sieges der eigenen Überzeugung gegen altes Denken. Auch das Tarifeinheitsgesetz spricht nicht für das Hochhalten gewerkschaftlicher Freiheit. Hier wären Beispiele gewesen, wie Freiheit als Wert auch im politischen Alltag unter Beweis gestellt hätte werden können, um den Leuten zu zeigen, dass es für uns alle wichtig ist, bei der eigenen Überzeugung zu bleiben.

Und im kleinen gibt es solche Konflikte auch. Und wenn sie darin bestehen, diesen stinkenden Asozialen, die immer auf der Straße betteln mal etwas zu geben, einfach weil es Menschen sind, die sich über Kleinigkeiten von uns auch freuen können. Mir zumindest geht es so, wenn ich das tue. Obwohl ich mir immer sage, die müßten nicht auf der Straße stehen. Die könnten ein Dach überm Kopf haben. Unsere Gesellschaft bezahlt das. Und sie müßten auch nicht stinken. Aber was weiß ich schon von deren Nöten?

Dass jetzt der Richter im Fall Tugce so klare Worte gesprochen hat, was unsere Klischees betrifft, die wir öffentlich zelebriert haben, oder die öffentlich zelebriert worden sind, das habe ich als hilfreich empfunden. Als segensreich sogar.

Oder dass unsere Gesellschaft, zumindest die Medien so über den Selbstmord-Kopiloten hergezogen ist, der die Germanwings-Maschine hat abstürzen lassen? War da wirklich Mitgefühl im Spiel, mit den vielen unschuldigen Opfern? Oder hat hier nicht unsere Gesellschaft mit gespielter Empörung zu unterdrücken versucht, dass etwas unbegreifliches passiert ist, das in dieser Art zu unserem Leben gehört. Es ist voller Abgründe, aber wir tun so, als sei unser Anspruch auf Sicherheit grenzenlos.

Was ist in der Schule, wenn Mitschüler fälschlich verdächtigt werden, was ist wenn Freunde gemobbt werden, was ist wenn Kollegen von Chefs runtergemacht werden? Überall wäre Zivilcourage nötig. Und das hat etwas mit Selbstbewußtsein zu tun, mit einem freien Selbstverständnis. Ich will hier nicht der falschen Courage das Wort reden. Man muß auch erkennen können, wo es um Zurschaustellung geht. Sondern mir geht es um echtes Mitgefühl. Das würde uns Menschen zusammenbringen, das bringt Reichtum ins Leben, und das überwindet Vereinzelung. Es ist ein Mitgefühl, das einem den Wert des Lebens deutlich macht. Das passiert ja eben erst in der Tat. Das Gefühl alleine ist es noch nicht. Sondern erst, wenn wir ihm Folgen und unseren Schatten überspringen, machen wir das zur Grundlage unseres Lebens. Aber dabei erleben wir den Wert der Freiheit. Denn ohne unsere Freiheit wären wir gar nicht dazu in der Lage, eigene und neue Wege zu gehen. (Deshalb spricht man ja auch davon, Freiheit gefüllt sein will, dass es als Wert eher eine nur eine Form ist, die Inhalt braucht.)

Und das hat auch etwas damit zu tun, dass man in der Öffentlichkeit sich zu seinen eigenen Gedanken bekennt, und eben nicht einfach so tut, als sei die eigene Meinung unwichtig. Etwas anderes kommt hier zum Vorschein. Man wertet sich selbst herab. Man hält sich für so klein, dass man es als besser empfindet, sich zu verstecken. Dabei sind wir alle einander völlig ebenbürtige Mitglieder unserer Gesellschaft. Da sollte es keine Rangfolge, keine Minderwertigkeiten geben. Es braucht sie nicht zu geben. Natürlich gehört Courage dazu, sich in der Öffentlichkeit zu äußern. Und auch hier ist die Freiheit die Grundlage des Handelns.

Die Leute nehmen sich die Freiheit nicht, weil sie nicht gleichberechtigt sein wollen. Sie lehnen die Herausforderung sich in der Öffentlichkeit zu bewegen ab. Sie lehnen es ab, um es philosophisch zu sagen, sich zu ihrer öffentlichen, politischen Dimension zu verhalten. Und das macht die autoritären Strukturen unserer Gesellschaft aus. Denn durch das sich selbst Kleinmachen, entsteht Unterordnung. Und dann gibt es andere, die sind oben. Und das ganze wirkt wie in Stein gemeisselt.

Diese Art von Courage, kann man nicht in der Schule lernen. DAs ist kein Handwerk. Sondern das ist ein Selbstverständnis. Im Grunde ist es etwas, wo man sich zu sich selber bekennt.

In der DDR haben wir alle das Gegenteil getan. Und die Masse hat das für Klugheit gehalten. Aber in Wirklichkeit haben wir uns und unsere Seele, unser Herz dabei verleugnet. Dabei sind Verhaltensmuster eingeübt worden, aufbauend auf alten, die unsere Gesellschaft an die Nachwachsenden weitergegeben haben. Die Auseinandersetzung um diese Fragen, die halte ich für viel wichtiger, als die blöde Stasi im landtag, oder einen roten MP in Erfurt. Weil sie dort ansetzt wo Unterordnung entsteht, in den Köpfen.

Liebe Jule,

ich weiß gar nicht, wieso ich plötzlich auf diese Abwege gekommen bin. Aber diese Fragen beschäftigen mich schon lange. Und Deine mail haben sie irgendwie herausgelockt.

Vielleicht sollten wir den Briefwechsel öffentlich machen. Oder irgendwie in anderer Form.

Dir einen schönen Tag

Dein Stephan



Jule, 10 Minuten später:

Zitat
Lieber Stephan,
da bin ich richtig froh, dass meine Mail dieses wunderbare Resultat gezeitigt hat! Habe ganz herzlichen Dank!!!
Wollen wir das unserem GGG (Guru Gunter aus Grimma) zuleiten, vielleicht findet er auch, dass andere teilhaben sollten?
Ich stimme Dir sehr weitgehend zu. Lernen kann man Freiheit nicht, aber ev. vorleben, ein Gefühl der Freiheit bewusst vermitteln, zeigen, was sie für einen selbst bedeutet.

Es sind die großen, sicher auch die philosophischen Fragen, die ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit Rücken müssen. Vielleicht denken wir auch darüber nach, wie und wo wir einen derartigen Ansatz/Punkt im Forum etablieren?

Übrigens: seit jeher gebe ich jedem, der bettelt, der Musik macht ( auch wenn sie den Namen nicht verdient) , etwas Geld. Das Argument, sie könnten anders leben oder Schlepper nehmen es Ihnen ab, habe ich immer abgelehnt. Es ist ein Stück Freude oder wenigstens Entlastung beim Chef der Bettlergruppen. Und welche Schatten müssen die Menschen übersprungen sein, sich so zu verhalten...

Fragst Du Gunter?
Ganz liebe Grüße
Deine jule

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